kopie lit. g. mueller-h. quietzsch 1977 kopie lit. g. a. kuhfahl 1936

Haselbachtal, OT Gersdorf, Lkr. Bautzen, im Ort, in südöstl. äußere Kirchhofmauer eingemauert, Steinkreuz

Maße: Höhe 0,62 m, Br. 0,36, T. (nach Kuhfahl 1936: 0,20), Steinkreuz aus Granit mit markant rundlich verbreiterten Kopf und Schaft, Arme kurz und breit, Darstellung eines linear eingetieften Messers, darüber eine vierfingrige Hand mit gespreizten Fingern (Verf.)

Ang. Lit. G. Müller-H. Quietzsch, 1977:

Mitten im Ort, nördlich an der Straße nach Boderitz, in der südsüdöstlichen äußeren Kirchhofsmauer eingemauert, 22 m westlich der südöstlichen Mauerecke. 1 Steinkreuz. Kopf und Schaft zur Kreuzung zu verjüngend; gerade, kurze, breite Arme; Kanten gerundet, auch Fußkanten. Granit. WSW-ONO (Ausrichtung). SSO-Seite , im Kopf eingeritzt im Umriß: vierfingrige Hand, gespreizt, Daumen nach unten weisend; darunter, in der Kreuzung beginnend, eingeritzt im Umriß: stehendes, plumpes Messer. Höhe=Länge: 62 cm, Breite: 36 cm, Stärke: nicht feststellbar, eingemauert (Kuhfahl 1936: 20 cm). Teil des Fußes fehlt, Einzeichnungen nur schwach erkennbar, allgemeine oberflächliche Verwitterung. Durch Einmauerung und mögliches Überputzen gefährdet. Geschützt seit 12. 10. 1971. Keine Sagen bekannt. Früher beim Gut Nr. 33 an der Straße nach Elstra gegenüber der Kirche eingesetzt, erst in verdeckter Brunnenfassung, dann in niedriger Gartenstützmauer des Gutes. 1931 herausgenommen und auf der gegenüberliegenden Seite am jetzigen Standort eingemauert. Erst in den 30er Jahren bekannt. (Textkopie Lit. G. Müller-H. Quietzsch, 1977)

Ang. Lit. G. A. Kuhfahl, 1936:

Die bemerkenswerteste Bereicherung für den sächsischen Steinkreuzbestand bildet schließlich das unscheinbare Kreuz von Gersdorf bei Kamenz (Abb. 136), das zwar nicht durch Form und Größe, wohl aber durch die rätselhafte Zeichnung einer Hand mit vier Fingern aus dem üblichen Rahmen der eingeritzten Bilder oder Inschriften herausfällt. Ursprünglich war es in einer niedrigen Wiesenstützmauer bei der Dorfkirche am Straßenrand eingesetzt und dort in der vorüberziehenden Schlammpfütze hinter Brennesselgestrüpp verborgen. Durch die Aufmerksamkeit des Lehrers wurde es bei der Tieferlegung der Straße vor zwei Jahren vor dem Untergang gerettet, dann aber leider trotz geeigneter Vorschläge beim Bau der neuen Kirchhofsmauer als Baustein verwendet und durch Mörtel so beschmiert, daß die Hand nur zum Teil noch erkennbar bleibt. Die seltsame Strichzeichnung einer vierfingrigen linken Hand, die am Oberteil des Steines über einem groben Messer angebracht ist, gibt Veranlassung, hier wieder einmal der tiefen Symbolik zu gedenken, die nicht nur der Steinkreuzsitte selbst, sondern in gleichem Maße auch solchen schlichten Einmeißelungen beizumessen ist. Zu einer Zeit, in der die Schriftkenntnis nur bei einer kleinen gelehrten Oberschicht zu suchen war, wohnte natürlicherweise jeder bildlichen Darstellung in der Öffentlichkeit eine weit größere Bedeutung bei als heutzutage. Auch besaß die Masse des Volkes im Mittelalter ganz zweifellos weit mehr innerliche Besinnlichkeit und weit höheres Verständnis für die symbolische Sprache solch stummer Denkzeichen, als sich die hastende Menschheit der Gegenwart inmitten einer Flut von Druckerschwärze und Radiolärm überhaupt noch vorstellen kann. Infolgedessen dürfte es kaum angängig sein, jene steinerne Bildersprache bloß in primitivster Weise dahin auszulegen, daß eine Hand mit gespreizten Fingern nach der Waffe greift, sondern die Erinnerung an die symbolische Bedeutung, die solchen Gegenständen im öffentlichen Leben damals beizumessen war, oder auch an die hochnotpeinlichen Leibesstrafen des mittelalterlichen Volksrtechts weist auf ganz andere Möglichkeiten hin. Dazu kommt, daß die Steinkreuzsetzung mit dem Kriminalwesen der geistlichen ebenso wie der weltlichen Spruchbehörden zum mindesten seit dem 12. Jahrhundert in engster Berührung stand. Werfen wir also einmal einen Blick auf die zeitgenössische Gesetzgebung und schlagen die farbenprächtige Bilderhandschrift des Sachsenspiegels vom Jahre 1198 auf, die als einzigstes vollständige Originalwerk des Ritters Eike von Repgow den kostbarsten Schatz der Sächsichen Landesbibliothek zu Dresden darstellt, so begegnen wir der abgeschlagenen Hand auf den hundert großen Pergamenttafeln an mehreren Stellen. Da die Strafe des Handabhackens jedoch unter den barbarischen Leibesverstümmelungen, die damals bei den Völkern und ihren Gewalthabern als Sühne menschlicher Fehltritte beliebt waren, zu den harmlosesten zählte, so kommt sie nur ein einziges Mal in Gestalt der Werbuse oder Währbuse vor. Die Hand hatte verwirkt, wer einem Vertragsgegner die Gewähr brach und ihm nicht zur versprochenen Leistung verhelfen wollte oder konnte. Den Strafvollzug führte der Henker im Beisein des Richters mit dem Beile auf einem steinernen Tisch oder hölzernen Klotz aus; in andern Fällen trieb er mit Hammerschlägen wohl auch einen umgelegten Eisenring durch das Handgelenk des verurteilten Opfers (Abb. 145).

kopie lit. g. a. kuhfahl 1936 abb. 145

Für das Fehlen des fünften Fingers auf dem Steinkreuz bietet der Sachsenspiegel trotz seiner umfangreichen Strafgalerie keinen Anhalt. Dem blutrünstigen Kriminalverfahren jener Zeiten, bei dem das einfache Kopfabschlagen oder Hängen fast noch einen besonderen Gnadenbeweis darstellte, mag der Verlust eines einzelnen Fingers viel zu unbedeutend erschienen sein. Wenn Handbilder mit vier Fingern also trotzdem manchmal vorkommen, so geht man vielleicht nicht fehl, die Darstellung eher auf das Ungeschick des Zeichners als auf strafweise Entstellung durch Henkershand zurückzuführen. Scherzeshalber nehme man einmal selbst den Stift zur Hand und versuche, an ein Handgelenk mit vorgezeichneter Breite - mit dem Daumen beginnend - die anderen ausgespreizten Finger in einem Zuge anzusetzen; in den meisten Fällen wird der Raum mit dreien schon ausgefüllt sein. Der Handwerksmeister des Gersdorfer Kreuzchens ist sogar bereits mit diesem dritten Finger über die abgerundete Oberkante der kleinen Steinplatte hinausgeraten und hat für den letzten dann überhaupt keinen Platz mehr gefunden. Aber nicht allein das Bild der Hand, sondern auch das dolchartige Messer sagte dem Zeitgenossen etwas mehr, als der oberflächliche Beschauer von heute zu ahnen vermag. Bei der Personendarstellung des Sachsenspiegels hält sich der Zeichner nicht nur in Form und Farbe, sondern auch bei den verschiedenen Attributen an gleichbleibende Merkmale, die den königlichen Gerichtsherrn und den Richtern, den Klägern und Angeklagten, den Dieb oder Mörder, den Zeugen oder Henkersknecht, den Juden oder Landfremden ohne besonderer Erklärung gegenüber chrakterisieren; ebenso gibt er den verschiedenen deutschen Volksstämmen, den Thüringern, Sachsen, Schwaben usw., gewisse Erkennungsstücke bei, die zum Teil sogar humorvollen Charakter tragen. So ist ein Mann, dem der Sachs, d.h. das breite zweischneidige Messer mit dem plumpen Holzgriff, am Leibgurt hängt, als Sachse gekennzeichnet, er entstammt also den mitteldeutschen Landen bis zur Nordseeküste. Dementsprechend kehrt diese kurze bäuerliche Wehr auf den Steinkreuzen dutzendfältig wieder und unterscheidet sich deutlich von den Langschwertern, Krummsäbeln, Lanzen, Dolchen und anderen ritterlichen Stich- oder Hiebwaffen. Wenn man die Strichzeichnungen am Gersdorfer Kreuz also auf diese Weise betrachtet, so erzählen sie uns vielleicht von einem königlichen oder bischöflichen Wahrspruch, auf Grund dessen ein sächsisches Bäerlein im 13. Jahrhundert als Währbuse die Hand hergeben mußte. Mittelst eigner Phantasie können wir uns dann die vorausgegangenen Geschehnisse beim Kuhhandel und Pferdekauf oder bei Getreidelieferungen nach falschem Maß und Muster hinzudenken, wiewohl für solche Vorkommnisse in unseren Zeitläuften vom Beil des Scharfrichters nichts mehr zu fürchten ist. (Textkopie Lit. G. A. Kuhfahl, 1936, S. 12/14/19 m. Abb. 145, aus: Sachsenspiegel, Teil I, S. 355, Bd. I, Tafel 26 a)

Quellangaben: Lit.: 1. Gerhardt Müller-Harald Quietzsch, Steinkreuze und Kreuzsteine in Sachsen, Inventar Bezirk Dresden, Berlin 1977, S. 189-190, Nr. 116 Gersdorf, Ot. von Gersdorf-Möhrsdorf, Kr. Kamenz, Mbl. 4750 (36), S 12,1 / W 17,05 m. Abb. 142 (Kopie), daraus: 2. G. A. Kuhfahl, Nachtrag zum Heimatschutzbuch von 1928 (1936), Nr. 77, S. 12-14 / 19 m. Abb. 136/145 (Kopien) u. Kuhfahl, 1931, S. 204-205 (s. Rubrik Liteatur, Kuhfahl-Verzeichnis), 3. W. Muhle, Hilf mit an einem Verzeichnis der Schätze unserer Heimat, in: Kamenzer Heimat, 1935, Beil. zum Kamenzer Tageblatt, Nr. 5, 4. H. Kubasch, Heimatbuch Kreis Kamenz, Kamenz 1954, S. 58

Internet: 1. ...wikipedia.org-wiki-Liste der Bodendenkmale in Haselbachtal, OT Gersdorf: besonderer Stein, Steinkreuz, Spätmittelalter, im Ort, eingemauert in die südöstliche äußere Kirchhofsmauer, Messer und Hand eingezeichnet, Schutz seit 12. Oktober 1971 o. F.

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